Irgendwann in den letzten zwanzig Jahren hat unsere Generation, aufgerieben in der sich vollendenden Dialektik der Nachkriegszeit, ihren kulturellen Schatz verloren.
Sicher, es waren immer nur wenige, die sich ihm mit dem nötigen Leuchten näherten. Und selbst die rein äußerlichen Bewahrer waren nie zahlreich. Doch zur Bewahrung des Schatzes braucht es auch nur sehr wenige: sie dringen zur Essenz vor, erneuern diese im kollektiven Bewusstsein, während die äußerlichen Bewahrer die Türe im Blickfeld halten und sie bei Bedarf öffnen.
Heute allerdings hat sich die Essenz aufgelöst, während die Bewahrer im Abseits stehen, unfähig, die Tür zu öffnen, wenn sie diese nicht gleich selbst verriegelt und verrammelt haben.
Damit stellt sich die Frage, ob dieser Schatz wiederhergestellt werden kann. Hier sehen wir uns vor einem Dilemma: Die Essenz des Schatzes ist gewissermaßen der Schlüssel zur Schatzkammer. Ohne sie kommen wir nicht rein. Gleichzeitig gelangen wir aber auch nur über den Schatz zur Essenz.
Die kulturrevolutionäre Antwort auf diese Lage wäre, etwas gänzlich Neues zu schaffen — ein radikaler Bruch, oder Aufbruch. Dafür braucht es weder Schatz noch Essenz; diese stören eher. Nur ein vages Bild ist nötig, das man mit der Opfergabe des eigenen Schmerzes auflädt, um es dann zu zerschlagen.
Vielleicht ist aber auch ein anderer Zugang zur Essenz möglich. Anders gesagt, wir müssen nicht zwangsläufig beim alten Kanon beginnen.
Wissenschaft, Psychologie, Religion, Esoterik oder auch politische Auseinandersetzungen können für ausreichend Reibungsenergie sorgen, um die Essenz wieder greifbar zu machen. So wird der Kontakt zum Urgrund mit einem lauten Schlage wiederhergestellt, zwar nur für den kürzesten Moment, aber doch lange wirksam.
Diese Wirksamkeit mag auch genügen, die Essenz unseres kulturellen Erbes wiederzuerobern. Zumindest die Möglichkeit bliebe.