Innerhalb jeder Gesellschaft, jeder Zivilisation, bilden bestimmte Begriffe eine still vorausgesetzte Grenze des Denkens. Es sind jene absoluten Voraussetzungen, von denen R. G. Collingwood sprach. Sie sind wie das Wasser, in dem der Fisch schwimmt, das er aber nicht wahrnimmt.
Jenseits dieser Grenze können wir nicht einmal die Frage stellen, geschweige denn die Antwort geben.
Allerdings verändern sich diese Grenzen, diese Voraussetzungen – das Wasser also – im Laufe der Geschichte. Dies geschieht in Zeiten des intellektuellen Umbruchs, die von Spannungen geprägt sind: Unsere vertraute Begriffswelt kommt unter Last, wie Collingwood schrieb, bis sie schließlich nachgibt. Es ist in diesen Zeiten, in denen das Wasser für manche Menschen plötzlich sichtbar wird. Dann öffnen sich viele Zukünfte. Es sind auch Zeiten, die wirre Demagogen jeder Couleur, aber auch irrationale Abwehrmechanismen produzieren, oftmals bis zur Absurdität.
Es gibt einen ganzen Haufen solcher Begriffe, die derzeit, von vielen noch unbemerkt, unter Last geraten. Dazu zählen etwa der Mythos der Aufklärung, wie er im 19. Jahrhundert entstand, der Materialismus im weitesten philosophischen Sinne, der Szientismus, die postmoderne Reaktion, aber auch Demokratie, Egalitarismus, Freiheit und viele mehr.
Diese verinnerlichten Begriffe sind wie Früchte am Baume unserer Zivilisation. Dabei ist dieser Baum selbst kontingent: er hätte auch anders wachsen können, die Früchte könnten ganz anders aussehen. Was diesen Früchten also Wahrheit und Kraft verleiht, ist nicht ihre absolute Form: sie beziehen ihre Kraft vielmehr aus dem Überzeitlichen, aus dem Boden, aus der Sonne.
Wenn diese Kraft nicht mehr trägt, fällt die Frucht, wird zum gärenden Fallobst: abgeschnitten vom Überzeitlichen fällt sie aus der Zeit. So wie Gärendes zunächst zum Rauschmittel, schließlich zum Gift wird, wirken die unter Last geratenen Begriffe erst einschläfernd, bevor sie im Diskurs als toxische Waffen erscheinen.
Diejenigen, die sich von Fallobst ernähren, klammern sich an diese Vakuum-Begriffe. Es ist die einzige Nahrung, die sie kennen, auch wenn sie längst nur noch aus leeren Kalorien besteht. Und so reagieren sie mit absolutem Horror, wenn jemand es wagt, auf diesen Umstand hinzuweisen.
Dies geschieht heute mit dem Begriff der Demokratie, um nur ein Beispiel herauszugreifen.
Die häretischen Kritiker teilen sich hier in zwei Lager auf: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die den Demokratiebegriff wieder an das Zeitlose ankoppeln, die also das Fallobst wieder an den Baum hängen möchten. Das äußert sich in Aussprüchen wie „das ist doch undemokratisch“ oder „das widerspricht dem Grundgesetz“. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die Demokratie als Begriff gänzlich infrage stellen. Sie betrachten das Fallobst und geben dem Ast die Schuld, von dem es fiel. Das ist selbstredend der Gipfel der Häresie.
Beide Wege müssen zwangsläufig wieder an die zeitlose Kraft anschließen, wenn sie mehr sein wollen als ein aufflackerndes Chaos, vergessen, zugewachsen, vergangen schon heute. Im ersten Falle heißt dies eine Neuverteidigung der demokratischen Idee von Grund auf, ein Vorgang, der diese gänzlich verändern muss. Die zweite Option wird gleichfalls immer auch die Produkte und Lehren der Demokratie in sich aufnehmen; sie werden immer Teil des Neuen bleiben. Beide Wege benötigen einander.
Selbstverständlich muss es nicht so kommen. Dann aber warten Betäubungsmittel und Gift – und schließlich der ziellose Marsch in die Wüste, als böser Traum eines schlummernden Stücks Physik, wo Bäume zu Gerippen werden.